Bundesverband für freie Kammern e.V. Demokratie kippt Kammerzwang - Pflegekammer Niedersachsen wird aufgelöst

07.08.2020

Demokratie kippt Kammerzwang - Pflegekammer Niedersachsen wird aufgelöstIn Niedersachsen hat es eine umfassende Umfrage unter den Zwangsmitgliedern gegeben, ob eine Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft und Zwangsbeiträgen gewünscht wird. (An dieser Stelle soll es nicht um die unbestrittenen Mängel bei der Umfrage gehen. Im bundesweiten Vergleich jedenfalls ist eine solche umfassende und ergebnisoffene Umfrage unter den Zwangsmitgliedern jedenfalls bislang einzigartig).
Das Ergebnis dieser Umfrage ist in zweierlei Hinsicht eindeutig. Einerseits haben über 70 Prozent der Mitglieder gegen die Zwangsmitgliedschaft gestimmt. Andererseits haben sich nur etwas mehr als 19 Prozent der angeschriebenen Pflegekräfte an der Umfrage beteiligt. Angesichts dieser letzten Zahl macht es keinen großen Sinn, über die Fälle zu klagen, in denen Zwangsmitglieder erst gar keinen Zugangscode zur Umfrage erhalten haben. Denn die geringe Beteiligung ist sicher das größere Problem. Es verweist sicher auch auf einen Mangel an Engagement für die Pflege. Vielmehr verweist diese Zahl aber auf das Maß an Frustration und den Mangel an Vertrauen in die Institutionen, dass mit einer Beteiligung wirklich etwas bewegt werden kann. Insofern ist es ein gutes und wichtiges Signal, dass die niedersächsische Landesregierung jetzt die versprochenen Konsequenzen zieht. Die Kammer soll in dieser Form abgeschafft werden. Ein Gesetzentwurf ist in Vorbereitung. Dieses Ergebnis und diese Konsequenz kann Mut machen für die anstehende Umfrage zur Zukunft der Zwangspflegekammer in Schleswig-Holstein. Vielleicht erinnert sich dann bei der Umsetzung der Konsequenzen irgendjemand vielleicht sogar daran, dass Kammern in Selbstverwaltung auch ohne Zwangsmitgliedschaft möglich sind (siehe Bayern). Eine wirklich Überraschung konnte das Ergebnis nur für die Hardliner sein. Die berufen sich weiter auf die vor der Einführung der Kammern durchgeführten nur repräsentativen Umfragen. Der wesentlichste Aspekt dieser Umfragen wird dabei bis heute tapfer ignoriert. Denn aus all den Umfragen ergibt sich, dass die damals Befragten gar nicht wussten, wozu sie da befragt wurden. In Niedersachsen gaben 69 Prozent der Befragten an, mit der vor der Kammergründung durchgeführten Umfrage erstmals von dem Thema gehört zu haben oder nur vom Begriff her zu kennen. Nun also eine wirkliche Umfrage unter denen, die u.a. aufgrund der Beitragsbescheide wussten, worüber sie entscheiden. Überraschend konnte das Ergebnis auch deswegen nicht sein, weil die unabhängigen Umfragen, die es zum Thema „Kammerzwang“ bisher bundesweit gab, immer ähnliche Ergebnisse zeigten. Dass es mit den Umfragen um die IHKn so eine Sache ist,  zeigen etliche Beispiele aus der Vergangenheit. So führte die Zeitung DIE WELT Anfang 2005 eine repräsentative Umfrage in Hamburg durch. Ergebnis: 68 % der Führungskräfte lehnen den Kammerzwang ab. Eine ähnliche Umfrage gab es bereits Ende der 90iger Jahre durch den ASR e.V. (einen Verband der Tourismuswirtschaft). Auch hier waren die Ergebnisse für die Kammern ähnlich verheerend. Genauso wie die Umfrage auf dem Internetportal „Rechtsboerse.de“. In der damaligen Umfrage lag die Ablehnung des Kammerzwanges bei knapp 90 %. Das Wahlergebnis der sogenannten „Kammerrebellen“ in Hamburg aus dem Jahr 2017 darf dabei wohl ebenso als Generalabrechnung mit dem Kammerzwang verstanden werden. Es ist kein Zufall, dass sowohl die Politik als auch die Kammern sich mit Händen und Füßen gegen die Durchführung solcher ergebnisoffenen Abstimmungen wehren. In Niedersachsen konnte die abgeschlossene Umfrage mit der ehrlichen Fragestellung nur in einem Kraftakt gegen die Kammerfunktionäre und das Sozialministerium durchgesetzt werden.Die nächste Urabstimmung zur Zukunft einer Zwangskammer ist also bereits beschlossen. Sie wird Anfang 2021 in Schleswig-Holstein stattfinden und dürfte in ähnlicher Weise wie jetzt in Niedersachsen das Schicksal der dortigen Zwangs-Pflegekammer besiegeln. Vielleicht sollte die Forderung nach solchen Umfragen auch in anderen Kammern gestellt werden.